Gute Zahnstellung – Eine Voraussetzung für gesunde Zähne im Alter

Prof. Dr. med. Knut Kröger

Die Zahl der Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, nimmt erheblich zu. Infolge der erhöhten gesundheitlichen Belastung und der Zahnerhaltung sind in dieser Altersgruppe mehr Mundgesundheitsprobleme zu erwarten. Eine schlechte mundgesundheitsbezogene Lebensqualität beeinträchtigt die psychische Verfassung, die sozialen Beziehungen, die persönlichen Überzeugungen und die körperliche Gesundheit eines Menschen. Sie gilt als Risikofaktor für kardiovaskulär Erkrankungen. So schreiben die Autoren Masi et al. in einem Editorial des European Heart Jounals 2019 „Die kardiovaskuläre Prävention beginnt im Mund“ (1). Weiter führen sie aus, das parodontale Erkrankungen weltweit die häufigste Form von Entzündungs- und Infektionskrankheiten sind und die Förderung der Mundgesundheit für die öffentliche Gesundheit von großer Bedeutung ist.
Eine systematische Literaturanalyse ergab, dass die Lebensqualität von Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter positiv assoziiert ist mit einer höheren Anzahl von Zähnen, einer höheren Anzahl von Okklusionspaaren, implantatgetragenen Deckprothesen und einem verkürzten Zahnbogenkonzept und negativ assoziiert mit Xerostomie, orofazialen Schmerzen und schlechter Kaufähigkeit (2). Auch die subjektiv empfundene Ästhetik im Mund- und Gesichtsbereich ist wichtig für die Lebensqualität, aber auch für die Mundgesundheit. Grundlegende Aspekte der Mundgesundheit eines Menschen umfassen verschiedene Aspekte wie die Beißfunktion, Schmerzen, Aussehen und psychosoziale Wahrnehmung (3).
Gesundheitspolitisch ist es daher wichtig, sich mit Mundgesundheit und Zahnstellung schon weit vor dem Eintritt in diese Altersstufe anzugehen.

 

Eine gute Zahnstellung beugt schlechter Mundgesundheit vor

Patienten mit einer kieferorthopädischen Behandlung von schweren Klasse-II-Fehlstellungen im Jugendalter haben ein geringeres Risiko für eine Beeinträchtigung der Mundgesundheit als die Allgemeinbevölkerung (4). In einer Studie der Abteilung für Kieferorthopädie, Universität Gießen wurde der Effekt einer kieferorthopädischen Klasse-II-Behandlung auf die Mundgesundheit nach mehr als 15 Jahren untersucht. Von 152 behandelten Patienten konnten 75 ausfindig gemacht werden und erklärten sich im Alter von 33,7 ± 3,0 Jahren zur Teilnahme bereit. Die Mehrheit (70,8 %) war mit ihren Zähnen und ihrem Kausystem voll zufrieden. Der Index für kariöse, fehlende und gefüllte Zähne (DMFT = Decayed, Missing, Filled Teeth Index) lag bei 7,1 ± 4,8 und war damit fast identisch mit dem der unbehandelten Klasse-I-Kontrollen (7,9 ± 3,6). Im Gegensatz dazu war der DMFT in der bevölkerungsrepräsentativen Alterskohorte um 56% höher.
Eine gute Zahnstellung ist die Voraussetzung für eine effektive Paradontosebehandlung. Das Problem der Paradontosebehandlung ist, dass sie nur dort effektiv sein kann, wo sie den Zahn auch erreicht. Nicht erreichbare Zahnzwischenräume stellen dabei eine große Herausforderung dar und sind Ausgangspunkt der Parodontoseinvasion in den Kieferknochen. Um die Parodontose dauerhaft zu stoppen, ist ein täglich gepflegter Zahnzwischenraum.
Anhand der Daten von 14.693 Erwachsenen im Alter von ≥19 Jahren aus der fünften und sechsten koreanischen nationalen Gesundheits- und Ernährungserhebung (KNHANES V, VI-1 und VI-2) wurde der Zusammenhang zwischen kieferorthopädischer Behandlung und Parodontitis untersucht (5) Die Ergebnisse zeigen, dass die kieferorthopädisch behandelte Gruppe eine niedrigere Prävalenz von Parodontitis aufwiesen als die nicht kieferorthopädisch behandelte Gruppe. Die Probanden mit Parodontitis hatten ein höheres Alter, einen höheren Body-Mass-Index, einen höheren Taillenumfang und eine höhere Anzahl weißer Blutkörperchen als die Probanden ohne Parodontitis, unabhängig von der Vorgeschichte der kieferorthopädischen Behandlung.

 

Aligner erleichtern Mundhygiene

Eine Studie untersuchte an 54 erwachsenen Patienten die Bedeutung der festen Zahnspange auf die Mundhygiene. Sie benutzten dazu den vereinfachten Mundhygiene-Index, den Plaque-Index und den Gingiva-Index wurden als parodontale Parameter (6). Sowohl der Plaque- als auch der Gingiva-Index wurden an den zentralen und seitlichen Schneidezähnen und den ersten Molaren beider Zahnbögen ermittelt. Mit Hilfe wiederholter Messungen wurden die parodontalen Parameter und die Konzentrationen folgender Bakterien im Speichel: Aggregatibacter actinomycetemcomitans (Aa), Fusobacterium nucleatum (Fn), Porphyromonas gingivalis (Pg), Prevotella intermedia (Pi), Tannerella forsythia (Tf). Alle Messungen wurden zu vier Zeitpunkten durchgeführt: unmittelbar vor (T1), 1 Woche nach (T2), 5 Wochen nach (T3) und 13 Wochen nach dem Debonding (T4). Die Ergebnisse zeigten, dass alle parodontalen Parameter sich unmittelbar nach dem Debonding (T2) verminderten. Die Gesamtbakterienzahl im Speichel verringerte sich auch. Die Menge an Aa und Fn blieb jedoch während des Versuchszeitraums auf einem ähnlichen Niveau im Speichel. Interessanterweise waren Aa und Fn im Speichel in höheren Mengen vorhanden als Pg, Pi und Tf. Die Studie zeigt, dass das Risiko parodontaler Probleme durch die Entfernung festsitzender kieferorthopädischer Apparaturen während der anfänglichen Retentionszeit trotz verbesserter Mundhygiene nicht vollständig beseitigt werden kann.Im Gegensatz dazu zeigt ein Cochrane Review aus dem Jahr 2015 bereits, dass die Indizes für die parodontale Gesundheit durch eine Aligner-Therapie signifikant verbessert (7). Die Autoren wählte aus 1247 identifizierten Artikeln fünf relevante Artikel aus. Auch wenn der Evidenzgrad dieser Studien mäßig war, zeigte sich eine signifikante Verbesserung der parodontalen Gesundheitsindizes, insbesondere, wenn die Aligner-Therapie mit festsitzenden Apparaturen verglichen wurde. Außerdem wurden in den ausgewählten Studien keine unerwünschten parodontalen Auswirkungen der Aligner-Therapie beobachtet.

Die Aussage wird durch ein jüngeres systematisches Review aus dem Jahr 2020 untermauert. Dazu wurde sieben Studien von Januar 2014 bis April 2019 eingeschlossen (8). Die Ergebnisse zeigen, dass die Aligner-Therapie zu klinisch akzeptablen Ergebnissen führen, die mit der Therapie mit festsitzenden Geräten für die bukkolinguale Neigung der oberen und unteren Schneidezähne bei leichten bis mittelschweren Zahnfehlstellungen vergleichbar sein können. Die meisten Zahnbewegungen sind möglicherweise nicht vorhersehbar genug, um trotz der jüngsten technologischen Fortschritte mit nur einem Set von Alignern erreicht werden zu können.

Eine andere systemische Analyse von verglich die Ergebnisse von Alignern und festsitzende Klammern und kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Aligner als auch Zahnspangen bei der Behandlung von Zahnfehlstellungen wirksam sind. Aligner hatten Vorteile bei der segmentierten Bewegung der Zähne und der verkürzten Behandlungsdauer, waren aber nicht so wirksam wie Zahnspangen, wenn es darum ging, adäquate Okklusionskontakte herzustellen, das Drehmoment der Zähne zu kontrollieren und die Retention zu gewährleisten (9).

 

Fazit

Die Aligner-Technologie hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Allerdings hat sie häufig das Image eines Lifestyle Produkte mit dem vor allem junge Menschen ihr Aussehen verbessern möchten.
Betrachtet man den Ansatz der Aligner-Technologie globaler, erkannt man, dass die Anwendung von Alignern helfen kann, die Mundgesundheit und damit den Zahnerhalt zu verbessern. Es ist unbestritten, dass Aligner die Zahlenstellung im Mund verbessern können. Sie verbessern dadurch die Effektivität der täglichen Zahnpflege und der Parodontose- Behandlung. Aligner sind kein Ersatz für eine kieferorthopädische Behandlung im Kindes- und Jugendalter. Sie sollten aber ein festerer Bestandteil der Zahnpflege in zahnärztlicher Hand sein, um die Zahnpflege und damit den Zahnerhalt zu verbessern. Daher ist die Aligner Therapie ein gesundheitsökonomisch sinnvolles Werkzeug, das in jeder Zahnarztpraxis Teil der Therapiekette Paradontoseprophylaxe and -therapie sein sollt (Tab. 1).
Kieferorthopädische Behandlungen erfreuen sich großer Beliebtheit zur Wiederherstellung der Funktion und der Gesichtsästhetik bei Jugendlichen und Erwachsenen. Als Nachteil ist die Prävalenz von Biofilm-bezogenen Komplikationen hoch. Die Biofilmbildung bei kieferorthopädischen Patienten unterliegt ähnlichen Mechanismen wie in der Mundhöhle isgesamt. Allerdings erschweren kieferorthopädische Apparaturen die Einhaltung der Mundhygiene und bieten zahlreiche zusätzliche Oberflächen mit anderen Eigenschaften als in der Mundhöhle, an denen sich Bakterien anlagern und einen Biofilm bilden können (10). Die Biofilmbildung kann zu Gingivitis und White-Spot-Läsionen führen und die Ästhetik des Gesichts beeinträchtigen. Während die Gingivitis nach einer kieferorthopädischen Behandlung oft vorübergehend ist, können sich die White-Spot-Läsionen zu Karies entwickeln, die eine professionelle Versorgung erfordert. Komplikationen, die eine professionelle Behandlung erfordern, treten bei 15 % aller Kieferorthopädiepatienten auf. Hier haben Aligner den klaren Vorteil einer besseren Mundhygiene. Diesen Aspekten der Mundhygiene und ihrer Bedeutung für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen sollte bei zukünftigen Diskussionen und wissenschaftlichen Untersuchungen von Alignern und festsitzenden Zahnklammern mehr Beachtung geschenkt werden.

 

Ablauf der Parodontosebehandlung

  • 1. Phase: Initial- bzw. Hygienephase
    – Professionelle Zahnreinigung
    – Anleitung zur verbesserten Mundhygiene beim Putzen (z.B. elektrische Zahnbürste, Zahnseide, Interdentalbürsten, Mundspülungen) durch zahnmedizinische Fachkraft
    – Verbesserte Zahnstellung als Voraussetzung einer guten Mundhygiene (z.B. Aligner)
  • 2. Phase: spezielle Parodontosebehandlung
    – Entfernung von Bakterienbelägen unter dem Zahnfleischsaum bzw. den Zahnfleischtaschen durch den Zahnarzt
    – Desinfektion durch den Zahnarzt
    – Zahnversiegelung durch den Zahnarzt
  • 3. Phase: Nachsorge und Erhaltungstherapie
    – Fortsetzen der Mundhygiene beim Putzen (z.B. elektrische Zahnbürste, Zahnseide, Interdentalbürsten, Mundspülungen) durch den Patienten
    – Erhalt der Zahnstellung als Voraussetzung einer guten Selbstpflege durch den Patienten (z.B. Aligner)
    – Regelmäßige Nachsorge und Überprüfung beim Zahnarzt

 


 

Literatur

1. Masi S, D’Aiuto F, Deanfield J. Cardiovascular prevention starts from your mouth Eur Heart J 2019;40:1146-1148.
2. van de Rijt LJM, Stoop CC, Weijenberg RAF, de Vries R, Feast AR, Sampson EL, Lobbezoo F. The Influence of Oral Health Factors on the Quality of Life in Older People: A Systematic Gerontologist 2020;60:e378-e394.
3. Larsson P, Bondemark L, Häggman-Henrikson B. The impact of oro-facial appearance on oral health-related quality of life: A systematic review J Oral Rehabil. 2021;48:271-281.
4. Bock NC, Saffar M, Hudel H, Evälahti M, Heikinheimo K, Rice DPC , Ruf S. Long-term effects of Class II orthodontic treatment on oral health J Orofac Orthop. 2018;79:96-108.
5. Sim HY, Kim HS, Jung DU, Lee H, Lee JW, Han K, Yun KI. Association between orthodontic treatment and periodontal diseases: Results from a national survey Angle Orthod. 2017;87:651-657.
6. Kim K, Jung WS, Cho S, Ahn SJ. Changes in salivary periodontal pathogens after orthodontic treatment: An in vivo prospective study Angle Orthod. 2016;86:998-1003.
7. Rossini G, Parrini S, Castroflorio T, Deregibus A, Debernardi CL. Periodontal health during clear aligners treatment: a systematic review Eur J Orthod 2015 Oct;37:539-43.
8. Robertson L, Kaur H, Fagundes NCF, Romanyk D, Major P, Mir CF. Effectiveness of clear aligner therapy for orthodontic treatment: A systematic review Orthod Craniofac Res. 2020;23:133-142.
9. Ke Y, Zhu Y, Zhu M. A comparison of treatment effectiveness between clear aligner and fixed appliance therapies BMC Oral Health. 2019;19:24.
10. Ren Y, Jongsma MA, Mei L, van der Mei HC, Busscher HJ. Orthodontic treatment with fixed appliances and biofilm formation–a potential public health threat? Clin Oral Investig 2014;18:1711-8.