Prof. Dr. Knut Kröger

Hintergrund

Die Einführung der Faktor-Xa-Inhibitoren 2008 hat den Markt der Antikoagulantien revolutioniert und die klassischen Antikoagulantien wie Vitamin-K-Antagonisten und Heparine zurückgedrängt. Ihre einfache Anwendbarkeit und ihr geringes Blutungsrisiko bzw. Nebenwirkungsspektrum hat den Faktor-X-Inhibitoren den Markt geöffnet. Auch initiale Bedenken wegen der deutlich höheren Kosten, konnten diesen Siegeszug nicht verhindern. Jetzt laufen auch die Faktor-Xa-Inhibitoren aus dem Patentschutz und die Firmen suchen dringend nach Nachfolgeprodukten.

Hierbei stellt sich zunächst die Frage, was müsste ein neues Antikoagulans mehr können als die jetzigen Faktor-Xa-Inhibitoren, um diese vom Markt zu verdrängen. Ein neues Antikoagulans müsste vermutlich noch sicherer bezüglich Wirksamkeit und Blutungsrisiko sein. Eine vielversprechende Substanzgruppe sind die Faktor-11- Inhibitoren. Dies geht aus epidemiologischen und tierexperimentellen Studien hervor. Danach schützt ein Mangel oder eine Hemmung des Faktors XI vor Thrombosen und ist nur mit einem geringen oder keinem Blutungsrisiko verbunden.

Studienlage

Derzeit werden mehrere auf Faktor XI ausgerichtete Strategien untersucht und erste randomisierte Studien sind publiziert.

Factor XI antisense oligonucleotide for prevention of venous thrombosis. Büller et al. N Engl J Med 2015 Jan 15;372(3):232-40.

  • In dieser offenen Parallelgruppenstudie wurden 300 Patienten, die sich einer elektiven primären unilateralen Knie-Totalendoprothese unterzogen, nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Dosierungen von FXI-ASO (200 mg oder 300 mg) oder 40 mg Enoxaparin einmal täglich zugeteilt. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war die Inzidenz venöser Thromboembolien (bewertet durch die obligatorische bilaterale Venographie oder die Meldung symptomatischer Ereignisse). Das wichtigste Sicherheitsergebnis waren schwere oder klinisch relevante nicht-schwere Blutungen. Zur Faktor XI Inhibition wurde ein Antisense-Oligonukleotid der zweiten Generation in zwei verschiedenen Dosierungen FXI-ASO (ISIS 416858) verwendet.
  • Das primäre Wirksamkeitsergebnis trat bei 36 von 134 Patienten (27 %) auf, die die 200-mg-Dosis von FXI-ASO erhielten, und bei 3 von 71 Patienten (4 %), die die 300-mg-Dosis von FXI-ASO erhielten, im Vergleich zu 21 von 69 Patienten (30 %), die Enoxaparin erhielten. Das 200-mg-Schema war Enoxaparin nicht unterlegen, und das 300-mg-Schema war ihm überlegen (P<0,001). Blutungen traten bei 3 %, 3 % bzw. 8 % der Patienten in den drei Studiengruppen auf.

Abelacimab for Prevention of Venous Thromboembolism. Verhamme et al. N Engl J Med 2021 Aug 12;385(7):609-617.

  • In dieser offenen Parallelgruppenstudie wurden 412 Patienten, die sich einer Knie-Totalendoprothese unterzogen hatten, nach dem Zufallsprinzip einem von drei Schemata von Abelacimab (30 mg, 75 mg oder 150 mg), das postoperativ in einer einzigen intravenösen Dosis verabreicht wurde, oder 40 mg Enoxaparin, das einmal täglich subkutan verabreicht wurde, zugewiesen. Der primäre Wirksamkeitsnachweis war die venöse Thromboembolie, die durch eine obligatorische Venographie des an der Operation beteiligten Beins oder durch objektive Bestätigung symptomatischer Ereignisse nachgewiesen wurde. Das wichtigste Sicherheitsergebnis war eine Kombination aus schweren oder klinisch relevanten nicht-schweren Blutungen bis zu 30 Tage nach der Operation. Verwendet wurde zur Faktor XI Inhibition Abelacimab. Dies ist ein monoklonaler Antikörper, der an Faktor XI bindet und ihn in der zymogenen (inaktiven Vorläufer-) Konformation blockiert.

Venöse Thromboembolien traten bei 13 von 102 Patienten (13 %) in der 30-mg-Abelacimab-Gruppe, bei 5 von 99 Patienten (5 %) in der 75-mg-Abelacimab-Gruppe und bei 4 von 98 Patienten (4 %) in der 150-mg-Abelacimab-Gruppe auf, verglichen mit 22 von 101 Patienten (22 %) in der Enoxaparin-Gruppe. Das 30-mg-Abelacimab-Schema war Enoxaparin nicht unterlegen, und die 75-mg- und 150-mg-Abelacimab-Schemata waren Enoxaparin überlegen (P<0,001). Blutungen traten bei 2 %, 2 % bzw. bei keinem der Patienten in der 30-mg-, 75-mg- und 150-mg-Abelacimab-Gruppe und bei keinem der Patienten in der Enoxaparin-Gruppe auf.

Diskussion

Die Studien zeigen, dass auch die neuen Faktor-XI-Inhibitoren über die klassischen Studienmodelle Thromboseprophylaxe, Thrombosetherapie und später natürlich auch Vorhofflimmern in den Markt kommen müssen.

Aktuell liegen die ersten Dosisfindungsstudien zur Thromboseprophylaxe bei Knieoperationen vor. Die beiden aufgeführten Studien zeigen, dass die Faktor-XI-Inhibition als Konzept funktioniert. Die Erwartung an diese Gruppe der neuen Antikoagulation besteht in einer Reduktion des Blutungsrisikos. Hier zeigen die beiden aufgeführten Studien, wie schwierig es ist, dies zu belegen. In der ersten Studie traten unter Enoxaparin noch mehr Blutungskomplikationen auf. In der zweiten Studie waren es Null Blutungskomplikationen unter Enoxaparin. Wie wollen sie dies toppen. Die aktuellen Faktor-Xa-Inhibitoren, aber auch die niedermolekularen Heparine, haben eine derartig niedrige Blutungskomplikation, dass es schwierig sein wird, sie systematisch zu verbessern.

Die Pharmafirmen müssen sich daher fragen, wie viel Reduktion der Blutungskomplikationen sie wirklich in den Studien wirklich zeigen können und wie viel dieses Weniger an Blutungskomplikationen kosten wird. Diese beiden Punkte werden über die Einführung und die Marktanteile der Faktor-XI-Inhibitoren zukünftig entscheiden.