Prof. Dr. Knut Kröger

Zahnkorrektur mit flexiblen Aligner-Schienen

Die Aligner-Therapie korrigiert Zahnfehlstellungen mithilfe von leichten, durchsichtigen und eigenständig anwendbaren Schienen. Aligner-Startups gelten als das enfant terrible der Kieferorthopädie. Jedoch sind gerade diese Startups dazu in der Lage, die klassische Kieferorthopädie dazu zu bringen, endlich ihre seit Jahrzehnten bestehenden Probleme, wie Intransparenz und Investitionsstau, anzugehen.

Unser Lächeln bietet einen Blick in unseren Charakter und eröffnet Zugang zu zwischenmenschlichen Kontakten. Insbesondere der Zustand und die Position der vorderen Schneidezähne ist prägend für den Eindruck, den unser Lächeln auf das Gegenüber macht. Zudem sind die Position und das ungestörte Zusammenspiel der Zahnreihen entscheidend für die Möglichkeit unser Essen zu genießen und somit Basis für einen gesunden Ernährungszustand. Auch die Zahnhygiene wird maßgeblich vom Zahnstand beeinflusst, denn ausreichende Erreichbarkeit der Zahnzwischenräume bei der eigenständigen täglichen Zahnreinigung beugt der Entwicklung und dem Festsetzen von Zahnbelag vor. Hier setzt die Aligner-Therapie an, deren Schienen individuell nach Maß angefertigt und bei Veränderung der Zahnstellung neu erstellt werden. So korrigieren die fast unsichtbaren Zahnschienen nach und nach kieferorthopädisch Zahnfehlstellungen. Die seit langem etablierte Methode, die bisher auf die kieferorthopädische Praxis beschränkt war, wurde in den letzten Jahren durch Startup-Unternehmen entdeckt und hat inzwischen weite Verbreitung gefunden. Dadurch wurden die Produkte zugänglicher und kostengünstiger, was zu einer Art „Demokratisierung“ des Aligner-Marktes beigetragen hat.

In der Kieferorthopädie etabliert

Seit langem etabliert sind die Produkte der Firma Invisalign, die im Rahmen kieferorthopädischer Behandlungen seit über 20 Jahren zum Einsatz kommen. Die Aligner von Invisalign werden von speziell dafür zertifizierten Kieferorthopäden ausgemessen und angepasst. Diese setzen die Aligner-Therapie alternativ zu der Behandlung mit den klassischen Draht-Zahnspangen ein. Aligner haben gegenüber den festen Spangen den Vorteil, dass sie den Patienten weniger behindern. Da die Aligner eigenständig bei Bedarf leicht zu entfernen sind, können Anwender sie beispielsweise zum Essen ablegen. Zudem sind ihre Zähne dann einfacher zu reinigen. Auch die Schienen sind unkomplizierter zu säubern, als die komplexen Spangen und fallen auch im Alltag weniger auf. Ist die Aligner-Schiene gut auf die jeweilige Zahnreihe angepasst, ist sie quasi unsichtbar und behindert auch die Aussprache nicht.

Über die Umsätze, die Kieferorthopäden mit dem Einsatz der Aligner-Therapie erzielen, gibt es keine konkreten Angaben, aber es wird davon ausgegangen, dass es um seit Jahren ansteigende Beträge geht, insbesondere da das Bewusstsein für das eigene Erscheinungsbild im Zuge des Eindringens von Social Media in den privaten Bereich gerade bei jungen Menschen zunimmt. Im Jahr 2016 liefen die Patente aus, die die Basis für den Geschäftserfolg des Unternehmens Invisalign darstellten. Seither können auch andere Unternehmen diese Technologie anbieten. Rasch drängten Startups auf dem Markt, die abseits der etablierten Kieferorthopädie alternative Wege suchten, um an den Verbraucher heranzutreten.

Eine Verschiebung mit Folgen

Innerhalb weniger Jahre ist so ein Marktsegment entstanden, das mittlerweile allgegenwärtig scheint. Da sich die Aligner-Startups nicht über die kieferorthopädischen Praxen an die Patienten wenden können, versuchen sie ihre Kunden über Werbung und Awareness zu erreichen. Besonders erfolgreich bei der Ansprache junger Menschen sind hierbei zielgruppenorientierte Social-Media-Kampagnen unter Einbindung von Influencern oder zugkräftiger Medien-Prominenz. Mittlerweile sind deren lächelnde Gesichter, inklusive Information darüber, wie so ein Lächeln für jedermann zu erreichen ist, aus dem öffentlichen Raum nicht mehr wegzudenken.

Alle Aligner-Startups haben gemein, dass bei ihnen die Aligner-Therapie nur einen Bruchteil dessen kostet, was beim Kieferorthopäden aufzuwenden ist – es handelt sich in der Regel um eine vom Patienten zu tragende Eigenleistung. Zudem sind beim Kieferorthopäden mehrere Termine notwendig, bei denen die neuen Schienen dann angepasst werden. Die meisten Aligner-Start-Ups erfassen die Gebissstellung jedoch per digitalem 3D-Scan. Einige ergänzen telefonische Beratung durch Präsenztermine und bieten engmaschige persönliche Betreuung an. Neuerdings setzen manche Startups auf eigene Ladenpräsenzen und Praxisnetzwerke. Aber deutlich häufiger ist die Kooperation mit Zahnarztpraxen, in denen spezialisierte Berater die Termine selbständig wahrnehmen. Dies können Mitarbeiter des Startups sein, oder entsprechend weitergebildete Zahnarzthelfer, die – ähnlich wie bei der Zahnreinigung – die Termine eigenständig unter Aufsicht der Zahnärzte vor Ort organisieren.

Wesentlicher Effekt der alternativen Strukturen ist eine gewaltige Kostenersparnis auf Verbraucherseite. Während eine Aligner-Therapie beim Startup zwischen 1.500 und 3.000 € kostet, sind dafür beim Kieferorthopäden zwischen 3.000 und 7.000 € aufzuwenden. Auf diese Weise verschob sich in den letzten Jahren ein wesentlicher, einträglicher und wachsender Markt vom kieferorthopädischen Bereich in den zahnärztlichen Sektor oder verschwand ganz aus beiden Bereichen, denn bei einigen Anbietern scheint nicht ganz klar, wer die Therapie letztlich verantwortet.

Obwohl die jungen Startups gegenüber den kieferorthopädischen Praxen strukturell benachteiligt sind, da sie ihr Netzwerk erst aufbauen und ihr Angebot bekanntmachen müssen, um Kunden zu erreichen, haben sich die neuen Aligner-Anbieter inzwischen gut etabliert. Hauptgrund dafür ist der erhebliche Kostenunterschied zwischen den Therapien in beiden Bereichen. Daraus lässt sich schließen, dass sich die Kieferorthopäden der lästigen Konkurrenz rasch entledigen könnten, wenn sie auf entsprechende Gewinn-Margen verzichten würden. Allerdings wählte die etablierte Kieferorthopädie in der Auseinandersetzung mit den Aligner-Startups einen anderen Weg.

Im Spannungsfeld

Die Reaktion der Kieferorthopäden auf die sich verändernden Strukturen erfolgte zu einem wesentlichen Teil über die Medien. So griffen Verbrauchermagazine die Thematik auf und gingen der Frage der Wirksamkeit und eventuellen unerwünschten Folgen der Aligner-Therapie außerhalb des etablierten kieferorthopädischen Bereichs nach. Gleichzeitig meldeten sich die Berufs- und Interessenverbände zu Wort, um den Medien gegenüber die Sichtweise der etablierten Kieferorthopädie zu vermitteln. Entsprechend sind als Interviewpartner oder Sachverständige in den jeweiligen Berichten oft dieselben Gesichter zu sehen. Die Thematisierung therapeutischer Risiken, die anhand von Einzelfällen dokumentiert werden, steht dann bei solchen Formaten oft im Fokus, während die vielen tausend zufriedenen Kunden der Aligner-Startups nicht, oder nur als anonyme Zahl auftauchen.

Im Gegenzug nutzen die Aligner-Startups Plattformen auf denen Wirtschaftskenner miteinander kommunizieren, neben den großen Finanz-Blättern beispielsweise Gründer-Magazine oder Podcasts, um ihre Sicht der Dinge darzustellen. Im Zuge der derzeitigen Offenheit für frische Ideen und mutige Unternehmungen kommen diese kommunikationsfreudigen Protagonisten der Gründerszene gut an. Im Kampf der etablierten Strukturen gegen eine Demokratisierung der Aligner-Therapie hat sich so mittlerweile ein Spannungsfeld aufgetan, dass sich über mehrere Ebenen ausdehnt und in dem neben Unternehmen, etablierten Medizinerverbänden und den traditionellen und neuen Medien inzwischen auch die Gerichte kräftig mitmischen. Dass die Kieferorthopädie um den Wegfall eines einträglichen Marktes bangt, ist zudem nicht das einzige Argument der Startups. Schließlich steht die deutsche Kieferorthopädie schon seit längerem in der Kritik.

Intransparenz und Investitionsstau

Bereits seit über zwanzig Jahren werden fehlende Indikationen kieferorthopädischer Behandlungen angemahnt. Gleiches gilt für eine oft unklare Evidenzlage bei manchen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen der Kieferorthopädie. Hierzu zählt das kostenintensive Röntgen, für das der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA), der über die Zulässigkeit von Kassenleistungen entscheidet, im Jahr 2003 strenge Maßstäbe definiert hat. Beim zahnärztlichen Röntgen sei demnach stets abzuwägen, ob „gesundheitlicher Nutzen das Strahlenrisiko überwiegt“. Gleichzeitig ist aber die bildgebende Diagnostik eine der am häufigsten gegenüber den Krankenkassen abgerechneten kieferorthopädischen Maßnahmen. Der von Kassenseite in Auftrag gegebene Gesundheitsreport zur kieferorthopädischen Behandlung kritisierte im Jahr 2020 mit deutlichen Worten das häufige Röntgen und erkannte Anzeichen einer Überdiagnostik. Insbesondere in diesem Themenbereich, in dem der G-BA dezidiert ein besonderes Abwägen fordert, ist dies eine bedenkliche Entwicklung und ein Beispiel für Fehlanreize im kieferorthopädischen Vergütungssystem, das Überversorgung fördert, während ein neutrales und effizientes Qualitätssicherungssystem fehlt.

Während die Röntgendiagnostik oft und gern eingesetzt wird, fehlt es in vielen kieferorthopädischen Praxen an digitalen Innovationen und modernen Geräten, wie etwa dem Intraoralscanner. Entsprechende Investitionen in Höhe von einigen zehntausend Euro scheuen Praxisinhaber, die ihren Umsatz auch durch veraltete Geräte und Methoden gewährleisten können. Sobald der inzwischen spürbare Druck durch die Aligner-Startups zu einem Umdenken in der etablierten Kieferorthopädie führt, besteht die Chance, diesen Investitionsstau abzubauen.

Auch für die oft kritisierte Intransparenz der Preisgestaltung kieferorthopädischer Therapie gegenüber den Patienten bieten die Aligner-Startups ein interessantes Gegenmodell. Die Anbieter informieren transparent und nachvollziehbar über den Preis der Therapie. Während sie sich in der kieferorthopädischen Praxis oft direkt auf dem Behandlungsstuhl entscheiden müssen, haben Kunden der Aligner-Startups im Vornherein Klarheit darüber, was auf sie zukommt, und können ganz unbefangen zwischen Optionen und Anbietern wählen.

Investoren erkennen Chancen

Dass Ansätze und Position der Aligner-Startups in dieser Auseinandersetzung vielversprechend sind, lässt sich auch aus dem Verhalten eines finanzstarken Akteurs ablesen, der aktuell große Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Straumann Holding AG hatte bereits vor zwei Jahren mit DrSmile eines der größten und strukturell am besten aufgestellten deutschen Aligner-Startups aufgekauft. Mit PlusDental reihte der Schweizer Zahnersatzhersteller in diesem Jahr ein weiteres bedeutendes Unternehmen in sein Portfolio ein und hat seitdem Zugriff auf ein gut aufgestelltes Netzwerk mit 400 Partnerpraxen innerhalb Europas. Die Straumann Holding AG verfügt bereits über ein eigenes Aligner-System, das sich allerdings direkt an Praxen und nicht an Endverbraucher wendet.

Dass die Schweizer nun gewillt sind, in die neuen Strukturen zu investieren und einen Schwerpunkt auf die Aligner-Therapie zu setzen, bestätigt die Strategie der Aligner-Startups. Es ist ein gutes Zeichen für die kostengünstige Zahnkorrektur für jedermann und somit die Demokratisierung des Lächelns.

 

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