K. Kröger
Am 14.02.2023 wurde die aktuelle überarbeitete Vision der AWMF-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie“ veröffentlicht. Obwohl die Diagnostik und Therapie dieser Krankheitsbilder seit Jahren standardisiert ist, gibt es doch immer wieder Änderungen und Neuerungen.
Eine interessante Änderung dieser Leitlinie ist der Algorithmus der Diagnostik. Hier gibt es zwei verschieden Algorithmen:
1. Es gibt einmal die Version für den erfahrenen Ultraschaller in der der Ultraschall an erster Stelle steht und die D-Dimere erst empfohlen werden, wenn der Ultraschall keine sichere Aussage zulässt. In diesem Fall interessiert auch keine klinische Vortestwahrscheinlichkeit.
2. Zusätzlich gibt es die Version für den nicht erfahrenen Ultraschaller. Hier steht die klinische Vortestwahrscheinlichkeit am Beginn der Diagnostik und abhängig davon, ob sie hoch oder niedrig ist, kann eine 2-Punkt-Sonografie durchgeführt werden oder die D-Dimere bestimmt werden.
Die Empfehlungen dazu lauten konkret:
Empfehlung 2.4
Als primäre Bildgebung sollte die duplex-unterstützte vollständige Kompressionssonografie (dv-KUS) eingesetzt werden, um eine tiefe Beinvenenthrombose zu diagnostizieren oder auszuschließen. Sie beinhaltet mindestens die Kompressionssonografie der tiefen Leitvenen des Ober- und Unterschenkels sowie die Ableitung eines Strömungsprofils der Vena femoralis communis im Seitenvergleich. (Empfehlungsstärke: starker Konsens)
Ist anhand der Sonografie eine Therapieentscheidung nicht sicher zu treffen, soll eine Wiederholungsuntersuchung innerhalb von 4-7 Tagen oder eine alternative Bildgebung (Magnetresonanz-Venografie oder indirekte Computertomografie-Venografie) zur Entscheidungs-findung herangezogen werden. (Empfehlungsstärke: starker Konsens)
Empfehlung 2.5
Ist eine duplexunterstützte vollständige Kompressionssonografie (dv-KUS) nicht zeitnah möglich, soll ein limitierter bzw. point-of-care-Ultraschall (POCUS) durchgeführt werden, um zu einer Therapieentscheidung zu kommen. Zum sicheren Thromboseausschluss ist dann allerdings eine zweite Untersuchung innerhalb von 4-7 Tagen erforderlich. (Empfehlungsstärke: starker Konsens)
Die Zweituntersuchung sollte eine duplex-unterstützte vollständige Kompressionssonografie (dv-KUS) sein und möglichst zeitnah durchgeführt werden. (Empfehlungsstärke: starker Konsens)
Auch die Aussagekraft der D-Dimere wird reduziert. Bisher war es akzeptiert, dass, wenn der klinische Verdacht gering war und die D-Dimere negativ waren, keine weitere Diagnostik mehr indiziert war. Hierzu schreibt die neue Leitlinie konkret
2.2.2.2 D-Dimere als „stand-alone“-Test im klinischen Alltag?
Aufgrund der oben genannten Daten, der einfachen Durchführbarkeit und breiten Verfügbarkeit der D-Dimer-Testung ist die Versuchung groß, allein auf der Basis normwertiger D-Dimere eine Thrombose ausschließen zu wollen. Eine monozentrische Kohortenstudie, die Patienten mit Thromboseverdacht einschloss, ging dieser Frage nach und errechnete für 415 Patienten mit einem normwertigen D-Dimer-Test im 3-Monats-Follow-Up eine Versagerquote von 0,7% (60). Eine aktuelle Metaanalyse bestätigte für eine D-Dimer-Testung mit einem hoch-sensitiven quantitativen Assay eine hohe Sensitivität (96,1%; 95%-KI 92,6-98,0%); erwartungsgemäß war die Spezifität mit 35,7% (95%-KI 29,5-24,2%) allerdings gering. Der negative prädiktive Vorhersagewert (d.h. die Wahrscheinlichkeit, mit der negativ getestete Personen tatsächlich keine Thrombose aufwiesen), wurde nicht mitberichtet (61). Grundsätzlich machen normwertige D-Dimere ein akutes Thrombosegeschehen unwahrscheinlich, allerdings kann die Bestimmung der D-Dimere als „stand-alone“-Test für den klinischen Alltag nicht empfohlen werden, da multizentrisch und prospektiv durchgeführte Managementstudien hierzu fehlen.
Insgesamt glaube ich, dass beide Neuerungen, sowohl die beiden parallel anwendbaren Algorithmen als auch die Reduktion der Aussagekraft negativer D-Dimere im Alltag zur Verwirrung führen werden. Die konkreten Fragen dabei sind:
Wer legt die Qualität des Ultraschallers fest oder wer bestimmt, welche Algorithmus in welchem Setting zur Anwendung kommt? Ist dies eine individuelle Entscheidung des diensthabenden Arztes im Krankenhaus oder muss das Krankenhaus diese Entscheidung treffen?
Wenn negative D-Dimere keinerlei Bedeutung mehr haben und trotzdem eine weitere Diagnostik durchgeführt werden muss, sollte dies der allgemeinen Ärzteschaft konkret verkündet werden und nicht ins Kleingedruckte einer Leitlinie geschrieben werden, die nur von wenigen Fachärzten gelesen wird.
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