Datengrundlage Rauchen & Nikotinkonsum in Deutschland (DEBRA-Studie)

Die laufende Regulierungsdebatte sollte auf der Basis der aktuellen Nutzungsdaten geführt werden, um passgenaue Maßnahmen entwickeln zu können. Die vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte und seit 2016 an der Universität Düsseldorf laufende Studie „Deutsche Befragung zum Rauchverhalten“ (DEBRA) liefert hier die aktuellen Zahlen:

Rauchendenquote

Gesamt: 34,3 % (Stand 07/2023) – stabil bis steigend seit 2016

Jugendliche: 15,9 % (Stand 2022), nach 8,7 % im Jahr 2021 und knapp 12,6 % im Jahr 2017

Hinweis: Die Daten zum Anstieg des jugendlichen Rauchens basieren auf kleinen Fallzahlen, und dieser Anstieg im Jahr 2022 wurde in anderen Umfragen bisher nicht beobachtet. Aufgrund der Höhe des Anstiegs ist ein Zusammenhang mit der Nutzung von E-Zigaretten unter Jugendlichen wenig wahrscheinlich; Ein möglicher Zusammenhang mit der konstant hohen Rauchendenquote unter Erwachsenen (Eltern) wird diskutiert.

 

Quoten zur Nutzung von alternativen verbrennungsfreien Nikotinprodukten

E-Zigarette

Gesamt: 2,3 % (Stand 07/2023) – wenig Veränderung seit den ersten verlässlichen Zahlen im Jahr 2017

Jugendliche: 2,5 % (Stand 2022), nach 0,5 % in 2021, aber auch schon 2,9 % in 2017 – hohe statistische Schwankungen aufgrund kleiner Fallzahlen und wenig Veränderung seit 2017

Tabakerhitzer

Gesamt: 0,6 % (Stand 2022) – leichter Anstieg v.a. unter erwachsenen Rauchenden

Jugendliche: 0,3 % (BZgA 2022) – stabil geringe Nutzung unter Jugendlichen

Bewertung: Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Evidenz zur relativen Schädlichkeit der Produkttypen und der besonderen Schutzbedürftigkeit von Jugendlichen, müssen die Ziele der öffentlichen Gesundheit liegen auf:

Verringerung der Quoten jeglichen Zigarettenrauchens, sowohl unter Erwachsenen als auch unter Jugendlichen

Verhindern jeglichen Neueinstiegs in den Tabak- und Nikotinkonsum durch Jugendliche, mit Fokus auf das Zigarettenrauchen und die E-Zigarettennutzung

 

Mögliches Maßnahmenpaket:

Rauchstoppprogramme fördern

Ergänzend die Attraktivität von verbrennungsfreien alternativen Nikotinprodukten für erwachsene Rauchende erhalten und differenzierte Aufklärung steigern (Ziel: Schadensreduzierung)

Attraktivität aller Tabak- und Nikotinprodukten für Jugendliche verringern (Fokus: Zigarettenrauchen und E-Zigarettennutzung)

 

Übersicht und Bewertung aktueller wissenschaftlicher Studien zur Rolle von Aromen

1.

Die niederländische Behörde für öffentliche Gesundheit RIVM schlägt eine restriktive Liste („Positivliste“) von Tabakaromen für E-Zigaretten vor, um deren Attraktivität speziell für jugendliche Nichtrauchende zu reduzieren. Gleichzeitig muss RIVM aber anerkennen, dass eine entsprechende Regulierung (a) noch unbekannte Folgen für erwachsene Rauchende und deren Nutzung von E-Zigaretten als Hilfsmittel für den Rauchstopp haben könnte und (b) in der Praxis leicht umgangen werden könnte [Pennings et al., 2023].

Zitat: “Die Umsetzung dieser vorgeschlagenen Liste in die Gesetzgebung wird wahrscheinlich den Konsum von E-Zigaretten unter Jugendlichen einschränken, aber auch die Attraktivität von E-Zigaretten als Hilfsmittel zur Raucherentwöhnung verringern. Die Regulierungsbehörden sollten auch bedenken, dass die Nutzer alternativ auch tabakfremde Aromen hinzufügen können, die nicht für die Verwendung in E-Liquids vermarktet werden.”

 

Bewertung: Positiv-Listen bieten inhärente Vorteile wie eine bessere Marktüberwachung und Compliance. Nutzen und Risiken von pauschalen Aromen-Einschränkungen durch sehr restriktive Positiv-Listen sind aber sorgfältig abzuwägen. Bevor wir auf der Basis von empirischen Daten abschätzen können, wie groß die jeweiligen Größenordnungen möglicher und gegenläufiger Regulierungsfolgen sind, ist von vorschnellen Entscheidungen abzuraten.

Ein möglicher Mittelweg („Sweetspot“) leitet sich aus aktuellen Daten und Entwicklungen aus den USA und Neuseeland ab.

2.

Aromen-Einschränkungen für alternative Nikotinprodukte werden meist mit Blick auf den besonders wichtigen Jugendschutz gefordert. Sehr restriktive pauschale Aromen-Einschränkungen können aber zusätzlich zu den o.g. Folgen auch unerwünschte Nebeneffekte gerade unter besonders schützenswerten Jugendlichen haben. So führte das pauschale Verbot von aromahaltigen Nikotinprodukten, inklusive einem Verbot von Mentholaromen, in San Francisco im Jahr 2018 ebendort zu einem Anstieg der Rauchendenquote unter Jugendlichen, während die Quote in umliegenden Bezirken dem Trend folgend weiter zurückging [Friedman, 2021].

Rauchendenquote unter Jugendlichen [Friedman, 2021]:

Bewertung: Solche Daten mahnen zur Vorsicht, gerade wenn es um pauschale und weitgreifende Einschränkungen von aromahaltigen alternativen Nikotinprodukten geht. Ähnliche Zusammenhänge werden inzwischen in weiteren US-Regionen beobachtet. Hier könnten die unerwünschten Nebeneffekte das eigentliche Ziel zunichtemachen, Jugendliche vor den gesundheitlichen Folgen des Tabak- bzw. Nikotinkonsums zu schützen.

 

3.

Eine neue US-Studie auf Basis einer national repräsentativen Umfrage zeigt, dass die Aromen Menthol und Minze offenbar unter erwachsenen Rauchenden für den Umstieg von größerer Bedeutung sind als unter Jugendlichen für den Einstieg in den Nikotinkonsum [Mok et al., 2023]. Die Aromen Menthol und Minze könnten daher eine Art „Sweetspot“ für eine differenzierte Regulierung darstellen, z.B. über Positiv-Listen, die Menthol- und Minzaromen neben Tabakaromen erlauben.

In der Studie war die Nutzung von E-Zigaretten mit tabakfremden Aromen (vs. nur Tabakaromen bzw. ganz ohne Aromen) erfolgreicher darin, Rauchende in die Abstinenz vom Zigarettenrauchen zu führen. Menthol- und Minzaromen waren hier besonders hilfreich für das Erreichen einer Abstinenz vom Zigarettenrauchen.Die Autoren schlussfolgerten:

Die Nutzung von E-Zigaretten steht in einem positiven Zusammenhang mit dem Versuch, mit dem Zigarettenrauchen aufzuhören, und dem Erfolg dabei.

Diejenigen erwachsenen Rauchenden, die E-Zigaretten mit Aromen verwenden, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, erfolgreich mit dem Rauchen aufzuhören. Dabei sind Menthol- und Minzaromen statistisch gleich wirksam wie andere tabakfremde Aromen; letztere waren wiederum besonders beliebt unter Jugendlichen.

Dies deutet darauf hin, dass das Potenzial von E-Zigaretten, Menschen, die derzeit rauchen, bei der Raucherentwöhnung zu unterstützen, mit der Verfügbarkeit von E-Zigaretten mit Menthol- oder Minzaromen erhalten bleiben könnte, selbst wenn der Zugang zu anderen tabakfremden Aromen, z.B. zu besonders bei Jugendlichen beliebten süßen Bonbon-Aromen, eingeschränkt würde.

Auch eine Studie aus Neuseeland fand, dass Menthol- und Minzaromen besonders beliebt waren unter Ex-Rauchenden, die nun E-Zigaretten nutzten [Gendall & Hoek, 2021].

Die Autoren schlussfolgerten:

Zitat: “Aromen spielen eine wichtige Rolle beim Einstieg in das Dampfen für derzeitige Raucher, ehemalige Raucher und für das Dampfen empfängliche Nichtraucher und bleiben auch für diejenigen wichtig, die weiter dampfen. Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer Regulierung, die eine gewisse Geschmacksvielfalt ohne das extravagante Marketing ermöglicht, mit dem derzeit für das Dampfen und E-Liquids geworben wird.”

Dabei ist zu beachten: Menthol in alternativen Nikotinprodukten führt nicht zu einer höheren Nikotinaufnahme, wie für Verbrennungszigaretten beschrieben. Das beschreiben jüngere Studien, darunter auch bisher nur auf Kongressen gezeigte Daten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und der LMU München.

 

Bewertung: Die obenstehenden Studien zeigen einen möglichen „Sweetspot“ für eine wissenschaftsbasierte Aromenregulierung auf, wodurch erwachsenen Rauchenden weiterhin attraktive Alternativen (mit Menthol- und Minzaromen) zur Verfügung stünden, die nicht in besonderem Maße attraktiv sind für nichtrauchende Jugendliche.

Interessanterweise hat die neuseeländische Regierung erst vor wenigen Tagen eine derartige Regulierung veröffentlicht („Smokefree Environments and Regulated Products Amendment Regulations 2023“, 21.08.2023). Darin werden explizit eine Rolle für Tabak- und Mentholaromen festgehalten und gleichzeitig enge Marketing-Vorgaben für die Beschreibung von Aromen in E-Zigarettten gemacht.

 

4.

Eine Vielzahl von mathematischen Modellierungen, aber auch Marktbeobachtungen, zeigen, dass verbrennungsfreie alternative Nikotinprodukte – auch unter Berücksichtigung negativer Auswirkungen wie ihre Nutzung durch Nichtrauchende, theoretische Gateway-Effekte oder ein „Dual Use“ mit Zigaretten – mit höherer Wahrscheinlichkeit einen beträchtlichen Nettonutzen für die öffentliche Gesundheit haben könnten [u.a. Mendez & Warner, 2019]. Hierbei ist davon auszugehen, dass in einem Sweetspot der Aromenregulierung die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass solche Modellierungsergebnisse tatsächlich Wirklichkeit werden.

Zitat aus Warner & Mendez, 2019: „Implikationen: Unsere Analyse deutet stark darauf hin, dass der positive gesundheitliche Nutzen von E-Zigaretten in Bezug auf ihr Potenzial, die Raucherentwöhnung bei Erwachsenen zu fördern, die negativen gesundheitlichen Risiken übersteigt, die sich daraus ergeben, dass sie möglicherweise die Zahl der jugendlichen Rauchanfänger erhöhen. Die Öffentlichkeitsarbeit und die Politik sollten sich weiterhin bemühen, die Exposition junger Menschen gegenüber allen Nikotin- und Tabakerzeugnissen zu verringern. Dies sollte jedoch nicht auf Kosten einer Einschränkung des Potenzials dieser Produkte gehen, erwachsenen Rauchern bei der Raucherentwöhnung zu helfen.“

 

Fazit

Bei der Diskussion um die wissenschaftliche Bewertung von verbrennungsfreien Alternativprodukten (darunter E-Zigaretten, Tabakerhitzer, Nikotinbeutel), speziell auch in Bezug auf die Rolle von Aromen, sollten die Bedürfnisse erwachsener Rauchender und die wissenschaftlich belegte Rolle von Aromen für das Erreichen einer Abstinenz vom Zigarettenrauchen nicht pauschal ignoriert werden.

Der Jugendschutz und die Schadensreduzierung bei erwachsenen Rauchenden sind beide für sich genommen so wichtig, dass sie nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Daher bedarf es einer differenzierten Betrachtung der zukünftigen Regulierung von Aromen.

Diese differenzierte Betrachtung muss auch die vorliegende produktspezifische Evidenz berücksichtigen:

– E-Zigaretten: besonders Einwegprodukte mit süßen Aromen aktuell beliebt unter Jugendlichen

– Tabakerhitzer: insgesamt geringe Nutzung unter Jugendlichen

– Nikotinbeutel: wenige Daten vorliegend, für effektiven Jugendschutz abträgliche unregulierte Verbreitung

Ohne eine gezielte Betrachtung verschiedener Bevölkerungsgruppe bei der Regulierung laufen wir Gefahr, die Attraktivität möglicher Umstiegsprodukte für Rauchende zu reduzieren und damit letztlich die Attraktivität des Weiterrauchens zu fördern, ohne dass dem Jugendschutz genüge getan wird, wie die jüngst gestiegene Rauchendenquote unter Jugendlichen nahelegt.

 

 

Literatur

Deutsche Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA), https://www.debra-study.info/

Friedman AS. A Difference-in-Differences Analysis of Youth Smoking and a Ban on Sales of Flavored Tobacco Products in San Francisco, California. JAMA Pediatr. 2021;175(8):863–865. doi:10.1001/jamapediatrics.2021.0922

Gendall P, Hoek J. Role of flavours in vaping uptake and cessation among New Zealand smokers and non-smokers: a cross-sectional study. Tob Control. 2021 Jan;30(1):108-110. doi: 10.1136/tobaccocontrol-2019-055469. Epub 2020 Feb 14. PMID: 32060072.

Mok Y, Jeon J, Levy DT, Meza R. Associations Between E-cigarette Use and E-cigarette Flavors With Cigarette Smoking Quit Attempts and Quit Success: Evidence From a U.S. Large, Nationally Representative 2018-2019 Survey. Nicotine Tob Res. 2023 Feb 9;25(3):541-552. doi: 10.1093/ntr/ntac241. PMID: 36250607; PMCID: PMC9910159.

New Zealand – Smokefree Environments and Regulated Products Amendment Regulations 2023, Cindy Kiro, Governor-General, Order in Council, At Wellington this 21st day of August 2023. https://www.legislation.govt.nz/regulation/public/2023/0201/latest/096be8ed81da87c2.pdf

Orth, B. & Merkel, C. (2022). Der Substanzkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2021 zu Alkohol, Rauchen, Cannabis und Trends. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. https://doi.org/10.17623/BZGA:Q3-ALKSY21-DE-1.0

Pennings JLA, Havermans A, Krüsemann EJZ, et al. Reducing attractiveness of e-liquids: proposal for a restrictive list of tobacco-related flavourings. Tobacco Control Published Online First: 20 January 2023. doi: 10.1136/tc-2022-057764

Warner KE, Mendez D. E-cigarettes: Comparing the Possible Risks of Increasing Smoking Initiation with the Potential Benefits of Increasing Smoking Cessation Nicotine Tob Res 2019;21:41-47.  doi: 10.1093/ntr/nty062.

 

 

 


 

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