Knut Kröger

 1. Einleitung: Es braucht ein Umdenken in der Rauchprävention

Während andere europäische Länder wie z. B. Schweden jüngst positive Nachrichten im Hinblick auf den Rückgang der Raucherquote vermelden konnten, scheinen solche Erfolge in Deutschland in weiter Ferne: Nachdem die Raucherquote in Deutschland über viele Jahre stagnierte, stieg sie etwa seit Beginn der COVID19-Pandemie sogar wieder rasant an. Aktuellen Zahlen der Deutschen Befragung zum Rauchverhalten zufolge liegt sie bei über 34 Prozent (DEBRA: 05/2023). Besonders ernüchternd ist ein Blick auf die stetig abnehmende Zahl der Rauchstoppversuche: Weniger als 10 Prozent der Raucher haben in den vergangenen 12 Monaten ernsthaft versucht, vom Rauchen loszukommen (ebd.).

Auch die Politik hat dies erkannt und debattiert aktuell intensiv darüber, wie eine Lösung der Rauchproblematik aussehen könnte. Im Mittelpunkt dieser Debatten stehen striktere Verbote im Bereich Werbung und Sponsoring. Ein solcher Schritt ist zwar insbesondere mit Blick auf eine weitere Steigerung des Kinder- und Jugendschutzniveaus in Deutschland richtig – der großen Gruppe der etablierten, langjährigen Raucher werden generelle Werbeverbote allein allerdings kaum weiterhelfen. Für sie gilt es vielmehr, praktikable und lebensrealitätsnahe Angebote im Hinblick auf die Lösung ihres Suchtverhaltens zu fördern.

Natürlich besteht der Goldstandard zur Verringerung von mit dem Zigarettenrauchen assoziierten Gesundheitsrisiken im vollständigen Verzicht auf Tabak- und Nikotinprodukte. Sowohl die oben genannte Raucherquote als auch unsere Erfahrung aus der ärztlichen Praxis zeigen allerdings, dass ein „einfaches“ Aufhören schlichtweg nicht der Lebensrealität vieler Millionen Raucher in Deutschland entspricht. Es braucht ergänzende Lösungsansätze, mit denen sie die gesundheitlichen Risiken im Zusammenhang mit dem Zigarettenrauchen auf eine für sie akzeptable und umsetzbare Art und Weise reduzieren können – aus diesem Grund sprechen sowohl viele ärztliche Kollegen als auch internationale Institute wie das Royal College of Physicians (2016) dem Konzept der Harm Reduction (Schadensreduzierung) eine große Bedeutung für die Verringerung von Gesundheitsrisiken durch das Rauchen zu.

Mit E-Zigaretten, Tabakerhitzern (engl. Heated tobacco products, HTP) oder auch den bisher in Deutschland nicht regulierten (tabakfreien) Nikotinbeuteln existieren bereits verschiedene Alternativen, die allesamt ohne den besonders schädlichen Verbrennungsprozess genutzt werden können und die Schadstoffbelastung bei der Nutzung deutlich reduzieren. In Ländern wie Großbritannien oder Schweden konnten die Raucherzahlen auch durch politisch-regulatorische Maßnahmen und gezielte Informationen zu alternativen Nikotinprodukten signifikant reduziert werden.

Das Ihnen vorliegende Schreiben soll einen Beitrag zum aktuellen politischen Diskurs um die Weiterentwicklung des Tabakregulierungsrahmens in Deutschland leisten. Sowohl die Ärzteschaft als auch die Politik stehen in der Pflicht, gemeinsam daran zu arbeiten, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um auch langjährigen Rauchern pragmatische Möglichkeiten zum Erreichen einer Abstinenz vom Zigarettenrauchen bieten zu können. Dazu gehört aus unserer Sicht auch die Förderung verbrennungsfreier Alternativen zu Zigaretten.

Die wissenschaftliche Evidenz für eine geringere Schädlichkeit von alternativen Nikotinprodukten sowie deren gesundheitspolitischen Potenzials auf individueller, wie auch auf Populationsebene, ist mittlerweile vielfältig und zunehmend verfügbar. Im Folgenden erlauben wir uns, Ihnen in kurzer Form einen Überblick über den Stand der Evidenz zu geben und beleuchten 1) das Potenzial, mit Hilfe von alternativen Nikotinprodukten die Raucherquote effektiv zu reduzieren, 2) die Toxizitätsprofile verschiedener alternativen Nikotinprodukte und das darauf basierende Potenzial der Schadensreduzierung für Raucher sowie 3) die positiven Auswirkungen, die eine Umsetzung des Konzepts der Schadensreduzierung auch auf die öffentliche Gesundheit haben könnten. Eine umfassende Literaturliste finden Sie dazu im Anhang.

 

2. Potenzial des Harm Reduction Ansatzes für die Senkung der Raucherquote

Die neuesten Daten zur Entwicklung der Raucherquoten wie auch der sinkenden Rauchstoppversuche sind besorgniserregend und sollten zu einem grundlegenden Umdenken in der regulatorischen Strategie führen. Andere europäische Länder haben diesen Schritt bereits gewagt und das Konzept der Harm Reduction in ihren Regulierungsrahmen integriert. Als gelungene Beispiele sind hier Schweden und Großbritannien zu nennen. In beiden Ländern ist die Raucherquote seit geraumer Zeit rückläufig, da sie neben konventionellen Raucherpräventionsmaßnahmen und pharmazeutischen Entwöhntherapien wie z. B. Nikotinersatztherapien (NETs) auch alternativen Nikotinprodukten eine Rolle in der Senkung der Raucherprävalenz einräumen.

In Schweden ist die Rauchprävalenz von 15 Prozent im Jahr 2008 auf 5,6 Prozent im Jahr 2022 gesunken (Human, Milton & Fagerström: 2022). Dabei wurde das Zigarettenrauchen weitestgehend durch Snus, einem oralen Tabakprodukt ersetzt. Grund dafür sind nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch eine regulatorische und steuerliche Besserstellung von Snus und anderen alternativen Nikotinprodukten gegenüber der Zigarette (ebd.). Besonders hervorzuheben ist der Fakt, dass Schweden in der Konsequenz neben der niedrigen Prävalenz des Rauchens auch eine der niedrigsten tabakbedingten Sterblichkeitsraten und niedrigsten Lungenkrebsraten bei Männern in Europa aufweist (ebd.; Ramström, Borland, Wilkmans: 2016). Ebenfalls sind die tabakbedingten kardiovaskulären Erkrankungen bei Snus- Konsumenten nahezu so niedrig wie bei Nichtrauchern (Yuan et al.: 2022).

Die Kombination aus Verfügbarkeit und differenzierter Regulierung von verbrennungsfreien Alternativen zu Zigaretten korreliert auch in Großbritannien mit einem Rückgang der Raucherquote. Zwischen den Jahren 2011 und 2021 nahm die Raucherquote um etwa 34 Prozent ab und lag 2021 bei 13,3 Prozent (ONS, 2022). In der britischen Strategie wird eine strenge Regulierung von Zigaretten durch Harm Reduction Maßnahmen ergänzt. So empfiehlt z. B. die britische Gesundheitsbehörde Public Health England Rauchern aktiv einen Umstieg auf E-Zigaretten. Das britische Gesundheitsministerium geht davon aus, dass zwischen 50.000 – 70.000 Raucher pro Jahr die Zigarette durch die E-Zigarette ersetzen (OHID, 2023).

Dass Alternativen wie E-Zigaretten für viele Raucher einen erfolgversprechenderen Weg zur Abstinenz vom Zigarettenrauchen als herkömmliche Methoden darstellen, ist inzwischen wissenschaftlich belegt. So zeigt ein Cochrane-Review einen hohen Grad an Evidenz dafür, dass Raucher mit nikotinhaltigen E-Zigaretten mit höherer Wahrscheinlichkeit mindestens sechs Monate keine Zigaretten rauchen, als wenn sie NETs nutzen würden (Hartmann-Boyce et al.: 2022). Cochrane-Reviews sind international anerkannt und gelten als Goldstandard in der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung. Sie basieren auf einer sorgfältigen Analyse und Zusammenfassung von Daten aus verschiedenen Primärstudien, um fundierte Entscheidungen über Gesundheitsmaßnahmen zu ermöglichen. Auch für Deutschland stellen die Autoren der DEBRA-Studie fest, dass E-Zigaretten das am häufigsten verwendete Hilfsmittel für einen Rauchstoppversuch waren. Zudem wiesen sie eine signifikant höhere Erfolgsquote auf als Rauchstoppversuche ohne Hilfsmittel und auch NETs gegenüber war ihre Erfolgsquote numerisch überlegen (Kotz, Böckmann & Kastaun: 2018; Kotz et al.:2022).

Insgesamt zeigt sich – und das lässt sich auch mit den Erfahrungen aus der ärztlichen Praxis bestätigen –, dass für eine große Gruppe von Rauchern alternative Nikotinprodukte für das Erreichen einer Abstinenz vom Zigarettenrauchen schlichtweg besser funktionieren als herkömmliche Methoden. Zwar stellt ein Umstieg auf ein alternatives Nikotinprodukt nicht die Ideallösung eines vollständigen Verzichts auf Tabak- und Nikotinprodukte dar, aber es ist immer die bessere Alternative zum Weiterrauchen und – das ist entscheidend – dieser Ansatz erreicht, wie in Großbritannien zu sehen, auch Raucher, denen wir aufgrund ihrer fehlenden Motivation für den Rauchstopp sonst kein Angebot mehr machen könnten.

 

3. Potenzial alternativer Nikotinprodukte für die Verringerung mit dem Zigarettenrauchen assoziierter Gesundheitsrisiken – Evidenzüberblick

Wissenschaftlich belegt ist die Tatsache, dass die enorme Schädlichkeit des Rauchens im größten Maße auf die Schadstoffe aus der Tabakverbrennung zurückzuführen ist (RCP: 2016). Nikotin ist hingegen hauptverantwortlich für die Abhängigkeit vom Zigarettenrauchen und löst pharmakologische Wirkungen etwa auf Herzfrequenz oder den Blutdruck aus. Die in großen Teilen der Öffentlichkeit, unter Rauchern und gar unter Medizinern vorherrschende Wahrnehmung (Steinberg et al.:2021), dass Nikotin selbst krebserregend und die Hauptursache für rauchbedingte Krankheiten sei, entspricht nicht der wissenschaftlichen Evidenz (Public Health England: 2018; Fong: 2019). Dementsprechend haben alternative Nikotinprodukte, die ohne einen Verbrennungsprozess genutzt werden können, im Hinblick auf die Schadstoffentstehung gegenüber Zigaretten einen entscheidenden Vorteil.

Im wissenschaftlichen Diskurs und auch von Institutionen wie der WHO oder des Deutschen Krebsforschungszentrums wird korrekterweise kritisch angemerkt, dass im Hinblick auf die Nutzung von alternativen Nikotinprodukten bisher keine Langzeitdaten vorliegen. Der aktuelle Forschungsstand deutet allerdings stark daraufhin, dass das Potenzial eines Umstiegs auf alternative Nikotinprodukte die Risiken gegenüber des Weiterrauchens beträchtlich überwiegt.

Die umfassendste Anzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen im Kontext alternativer Nikotinprodukte liegt gegenwärtig für E-Zigaretten vor. In einer Metaanalyse von 44 klinischen Studien verglichen Akiyama & Sherwood (2021) die Schadstoffbelastung (“Biomarker”) in Nutzern von E-Zigaretten. Die Ergebnisse zeigen, dass die bei E-Zigaretten- und Erhitzer-Konsumenten gemessenen Biomarker-Werte im Vergleich zur Zigaretten-Basislinie signifikant niedriger und Konsumenten dementsprechend einer deutlich geringeren Menge schädlicher Substanzen ausgesetzt sind. Zum gleichen Ergebnis kommen klinische Studien zu E-Zigaretten von Goniewicz et al. (2016) sowie Pulvers et al. (2018). Letztere Studie zeigt, dass selbst beim „Dual Use“, also einem nicht vollständigen Umstieg und daher parallel-alternierenden Konsum von Zigaretten und E-Zigaretten, wichtige Marker für die Schadstoffbelastung signifikant verringert waren. Zu diesem Ergebnis kommen auch Hartmann-Boyce et al. (2022), die in ihrer Metaanalyse neun randomisiert-kontrollierter klinischen Studien zu dem Ergebnis kommen, dass sowohl der vollständige als auch der teilweise Umstieg auf E-Zigaretten potenzielle Schäden im Vergleich zum Zigarettenrauchen deutlich reduzieren kann. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) (2021) erklärt, dass im Dampf von E-Zigaretten nach „derzeitigem Kenntnisstand im Vergleich zum Rauch von Tabakzigaretten deutliche geringere Mengen krebserzeugender und anderer gesundheitsschädlicher Stoffe“ enthalten sind.

In Rahmen einer umfassenden Schadstoffanalyse von erhitzten Tabakprodukten kam das BfR (2018) auch bei diesem Produkt zum Ergebnis, dass der Gehalt an bedeutenden Karzinogenen im Aerosol im Vergleich zu Zigaretten erheblich reduziert ist. Zum gleichen Ergebnis kommen Bekki et al. (2017) sowie Lachenmeier, Anderson & Rehm (2018), welche den Konsum von http für keineswegs risikofrei halten, allerdings von einer „signifikanten Risikoreduktion“ im Vergleich zu Zigarettenrauch sprechen.

Zuletzt sollte noch ein Augenmerk auf tabakfreie Nikotinbeutel gelegt werden, deren Regulierung in Deutschland zurzeit intensiv diskutiert wird. Snus, die tabakhaltige Variante von Nikotinbeuteln, wird insbesondere in skandinavischen Ländern bereits breit konsumiert. Wie im vorherigen Abschnitt unseres Schreibens dargestellt, führt der zunehmende Konsum dieser oralen Nikotinprodukte anstelle von Zigaretten in Schweden zu positiven gesundheitspolitischen Entwicklungen.

Ein Gutachten des BfR (2022) zu Nikotinbeuteln, welches gemeinsam mit der Spezialambulanz für Tabakabhängigkeit der LMU München erstellt wurde, zeigt deutlich verringerte Schadstoffwerte dieser Produkte im Vergleich zu Zigaretten und damit einhergehend ein verringertes Schadenspotenzial. Abrams et al. (2018) ordnen Nikotinbeutel auf ihrem „Schadensminimierungskontinuum“ in der Kategorie „stark reduzierte Schädlichkeit“ ein. Meier et al. (2020) kommen im Hinblick auf den Konsum des artverwandten Snus zu dem gleichen Ergebnis, während Lee (2013) spezifisch auf eine Risikominderung für Mund- und Magenkrebs und Herz-Kreislauferkrankungen hinweist.

Mit Blick auf das Potenzial zur Schadensreduzierung zeigt sich trotz vorhandener methodischer Limitationen in der Studienlage (Querschnittsstudien lassen z. B. keine Schlüsse zu Langzeiteffekten zu), dass der Konsum von alternativen Nikotinprodukten sehr wahrscheinlich deutlich weniger risikobehaftet ist als das Zigarettenrauchen, und damit für Raucher eine akzeptable Alternative sein könnte, wenn sie den Rauchstopp nicht schaffen.

 

4. Nettoeffekt von alternativen Nikotinprodukten auf Populationsebene

Auch mathematische Modellierungen zeigen, dass der großflächige Umstieg von Rauchern auf alternative Nikotinprodukte mit hoher Wahrscheinlichkeit positive Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben dürfte. Diese Einschätzung gilt selbst dann, wenn potenziellennegative Auswirkungen wie etwa der Einstieg in den Nikotinkonsum durch Nichtraucher oder ein Gateway-Effekt berücksichtigt werden.

// Die hier beschriebenen Studien führen ihre Modellierungen mit der Substiuion von Zigaretten durch E-Zigaretten durch. Levy et al. (2018) vergleichen am Beispiel der USA ein Status-quo-Szenario, welches die Raucherquote und deren gesundheitliche Folgen ohne E-Zigaretten prognostiziert, mit Substitutionsmodellen, in welchen das Zigarettenrauchen über einen Zeitraum von zehn Jahren weitgehend durch den Konsum von E-Zigaretten ersetzt wird. Die Substitutionsmodelle unterscheiden sich dabei in Bezug auf die angenommene relative Schädlichkeit von E-Zigaretten im Vergleich zu Zigaretten und Annahmen zum Ausmaß des Rauchein-, aus- und umstiegs. Die Analyse zeigt, dass eine Strategie, bei der Zigaretten durch

Der Gateway-Effekt beschreibt die Theorie, dass der Konsum von verbrennungsfreien Alternativen wie E-Zigaretten für Nichtraucher den Einstieg in das Zigarettenrauchen darstellen könnte. Allerdings können diverse Studien keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem initialen Konsum von z. B. E-Zigaretten und einem daraus resultierenden Zigarettenrauchen feststellen (Levy et al.: 2019; Beard, Brown & Shahab: 2022; Sun, Méndez & Warner: 2023).

E-Zigaretten substuiert werden, selbst bei konservativen Annahmen über die mit E-Zigaretten verbundenen möglichen Risiken erhebliche Vorteile bringen würde. So führt die Substitution von Zigaretten durch E-Zigaretten über einen Zeitraum von zehn Jahren im optimistischen Szenario zu 6,6 Millionen weniger vorzeitigen Todesfällen und 86,7 Millionen weniger verlorenen Lebensjahren bis zum Jahr 2100 in den Vereinigten Staaten. Selbst in einem pessimistischen Szenario (mit negativen Faktoren wie Raucheinstiege oder Gateway) können laut der Modellierung 1,6 Millionen vorzeitige Todesfälle verhindert und 20,8 Millionen Lebensjahre weniger verloren werden.

Auch Warner & Mendez (2019) prognostizieren in ihrem Modell für die Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2070 einen Gewinn an Lebensjahren durch den Umstieg von Rauchern auf E-Zigaretten. Im Basisfall gehen die Autoren davon aus, dass der E-Zigarettenkonsum jährlich den Einstieg ins Zigarettenrauchen zwar um 2 Prozent erhöht (Gateway), gleichzeitig aber auch den Ausstieg aus dem Rauchen um 10 Prozent steigert. In diesem Fall gewinnt die Bevölkerung bis 2070 fast 3,3 Millionen Lebensjahre. Selbst unter der Annahme, dass der Ausstieg aus dem Zigarettenrauchen mithilfe der E-Zigarette nur 90 Prozent des positiven Gesundheitseffekts eines kompletten Rauchstopps erreicht, bleibt ein Nettogewinn an Lebensjahren von 2,4 Millionen.

Vu et al. (2023) haben jüngst eine Metaanalyse von 32 Modellierungen zu den Auswirkungen von E-Zigaretten auf die Bevölkerung, einschließlich Gesundheitsfolgen und Raucherprävalenz veröffentlicht. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Modellrechnungen günstige Auswirkungen der Verfügbarkeit von E-Zigaretten auf die Bevölkerung im Vergleich zu einem reinen Zigaretten-Basisszenario prognostizieren.

Die verschiedenen Modellierungen liefern aufgrund unterschiedlicher Annahmen und betrachteter Zeitfenster erwartbarerweise teils stark unterschiedliche Effektgrößen. Umso bemerkenswerter ist es daher, dass diese Modellierungen nichtsdestotrotz in der Tendenz jeweils erhebliche Potenziale für die öffentliche Gesundheit ermitteln, selbst unter Berücksichtigung pessimistischer Szenarien

Im Falle von Tabakerhitzern und Nikotinbeuteln liegen weniger und vor allem von der Industrie durchgeführte Modellierungen zu dem Nettoeffekt eines Produktumstiegs vor. Vorhandene Evidenz deutet aber stark daraufhin, dass der großflächige Umstieg von Rauchern auf erhitzten Tabak auch langfristig zu positiven Effekten für die öffentliche Gesundheit führen wird. So kommen Ratajczak et al. (2020) im Rahmen eines systematischen Reviews von 15 Studien zu dem Ergebnis, dass Umstiege auf Tabakerhitzer zu einer Reduzierung „traditioneller“ chronischer Rauchererkrankungen wie COPD, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs in der Gesellschaft beitragen. Zudem deuten die Berechnungen des Niederländischen Instituts für Öffentliche Gesundheit und Umweltschutz (RIVM) auf ein geringeres Krebspotenzial von http im Vergleich zu Zigaretten und somit eine wesentlich geringere Verkürzung der Lebenserwartung hin (Slob et al.: 2020).

 

5. Fazit: Die Reduktion von Rauchschäden ist eine ärztliche wie politische Aufgabe

Alternative Nikotinprodukte und auch das mit ihnen einhergehende Konzept der Schadensreduzierung werden in Politik und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Zwar belegen die wissenschaftlichen Studien eine deutliche Reduktion an Schadstoffen, zweifelsfreie Aussagen zu Langzeiteffekten können allerdings natürlicherweise noch nicht getroffen werden. Insofern ist es verständlich, dass die fehlende hundertprozentige Klarheit über mögliche negative Konsequenzen des Langzeitkonsums zu einer gewissen Zurückhaltung führt.

In einer Situation wie der aktuellen, mit einer gesellschaftlichen Raucherquote von über 34 Prozent und einer historisch niedrigen Rate von Rauchstoppversuchen, gibt es aus unserer Perspektive keine Alternative dazu, alternative Nikotinprodukte auf Basis der schon vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz als sinnvolle Alternative zur Zigarette zu betrachten. Die aktuelle Evidenz aus randomisierten Studien und Bevölkerungsbefragungen zeigt, dass alternative Nikotinprodukte die Abstinenz vom Zigarettenrauchen unterstützen und dabei auch die große Gruppe von Rauchern erreichen können, die nicht für den Rauchstopp motiviert ist. Zudem legen mathematische Modellierungen nahe, dass der Schadensreduzierungsansatz nennenswerte Potenziale für die öffentliche Gesundheit haben kann.

Dazu gehört unter anderem, Rauchern einen Zugang zu diesen Produkten zu gewährleisten, sie aber auch sachlich und differenziert über diese Alternatoven zu informieren. Mit Blick auf  Zahlen des BfR-Verbrauchermonitors (02/2023) wird deutlich, wie groß die Notwendigkeit dafür ist: 37 Prozent der Befragten gaben an, E-Zigaretten zwar zu kennen, sich aber (gar) nicht gut über dieses Produkt informiert zu fühlen. Im Übrigen halten nach dieser Umfrage deutlich mehr Befragte (82 %) das Bereitstellen wissenschaftlich fundierter Informationen für wichtiger als Beschränkungen und Verbote im Konsumsektor (58 %). In diesem Sinne sollten Ärzteschaft und Politik bzw. Regulierer die Verringerung der mit dem Rauchen assoziierten Gesundheitsrisiken als Gemeinschaftsaufgabe verstehen. Mehr Ärzte sollten das Thema alternative Nikotinprodukte ergänzend in ihre Beratung von Rauchern mit einbeziehen, gerade gegenüber der großen Gruppe der nicht für den Rauchstopp motivierten Raucher. Gleichzeitig muss die Politik allerdings auch geeignete regulatorische Rahmenbedingungen schaffen, die für diese Gruppe einen erfolgreichen Umstieg auf diese Produkte ermöglichen. Dies sollte vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um Verschärfungen der Werberestriktionen bzw. Kommunikationsmöglichkeiten unbedingt mitbedacht werden. Es muss Rauchern möglich bleiben, sich weiter über Produkte wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer zu informieren und diese auch einmal ausprobieren zu können.

Britische Gesundheitsbehörden bringen es so auf den Punkt: Sie fordern, dass rechtliche Vorschriften die möglichen Risiken von E-Zigaretten und erhitzten Tabakprodukten mit ihren potenziellen Vorteilen abwägen sollten (Public Health England: 2018). Mit Blick auf die stagnierende, hohe Raucherquote in Deutschland und die oben beschriebene Evidenz scheinen diese Vorteile deutlich zu überwiegen.

Um die genannten Potenziale zugunsten von Rauchern zu heben, sollten im Rahmen der aktuellen Regulierungsdebatte folgende Vorschläge berücksichtigt werden:

1. Am Risikopotenzial ausgerichtete, differenzierte Betrachtung von verbrennungsfreien zu Zigaretten im Kontext der angestrebten Regelungsverschärfungen im Bereich Werbung, Marketing und Sponsoring.

2. Grundsätzliche Implementierung des Prinzips der Schadensreduzierung im Rahmen anstehender Regulierungsprozesse (Tabakerzeugnisgesetz, WHO FCTC, Tabakproduktrichtlinie)

3. Regulierung von Nikotinbeuteln im deutschen Tabakrecht, um Rauchern eine weitere verbrennungsfreie Alternative zu Zigaretten zur Verfügung zu stellen.

 

Literatur

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